Herausforderungen von der Projektierung bis zum Baubeginn
Das komplexe und auch symbolträchtige Grossprojekt der zweiten Strassen-tunnelröhre am Gotthard stellt hohe Ansprüche an die Planung. Die Erarbeitung des Ausführungsprojekts ist in interdisziplinärer Zusammen-arbeit zügig vorangeschritten.
Die Projektierung der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels (GST) mit einer Länge von 16,866 km ist seit acht Jahren sehr speditiv im Gang, sodass die Hauptarbeiten mit dem Vortrieb der zwei-ten Röhre mittels Tunnelbohrmaschine (TBM) im Jahre 2022 begonnen werden können. Gemäss dem Ausführungspro-jekt des Bundesamts für Strassen (Astra) verläuft die neue Tunnelröhre (2TG) in einem Abstand von rund 40 m östlich zum bestehenden Sicherheitsstollen und von 70 m grösstenteils parallel zur ersten Röhre, wobei in den Portalbereichen der Abstand reduziert wird. Als Tunnelpor-tale werden sowohl in Göschenen wie in Airolo die bestehenden und bereits beim Bau des ersten Durchstichs für eine zweite Röhre konzipierten Portalbau-werke genutzt. Dazu müssen lediglich die Zugänge zum Service-und Infrastruktur-stollen (SISto) verschoben werden. Der Baubeginn der Vorarbeiten für die zweite GST-Röhre ist im Laufe 2020 erfolgt. In diesem Sommer wird als erstes grösseres Objekt der 4 km lange Zugangs-stollen von Göschenen aus zur Störzone Nord in Angriff genommen. Die Dauer der Bauarbeiten wird vom Uvek mit etwa sieben Jahren angegeben, die Gesamt-kosten sind auf 2,14 Milliarden Franken veranschlagt. Der Vortrieb wird zeitgleich mit je einer TBM von Airolo und Gösche-nen aus erfolgen. Gemäss aktuellem Stand der Planung sollte die zweite Röhre etwa Mitte 2029 in Betrieb gehen.
Bauliche Ausgestaltung – planerische Spezifikationen
Der Querschnitt der zweiten Gotthard-röhre, das sogenannte Normalprofil, wird rund, da der Vortrieb mehrheitlich mittels TBM ausgeführt wird. Der Ausbruch-durchmesser beträgt 11,8 m, wie Guido Biaggio, Vizedirektor beim Astra, im Projektbericht ausführt. Die Höhe des Fahrbahnraums der 2TG beträgt bis zur Zwischendecke 5 m. Beidseitig sind Bankette mit einer Breite von 1,5 m angeordnet. Die Fahrbahn einschliesslich Pannenstreifen hat eine Breite von 8 m und ein Quergefälle von minimal 2,5 Pro-zent. Der Tunnelquerschnitt ist durch die Fahrbahnplatte und die Zwischendecke in die drei Hauptbereiche Fahrraum, Lüftungskanäle oberhalb der Zwischen-decke und zwei Werkleitungskanäle unterhalb der Fahrbahnplatte unterteilt.
Tunneldurchmesser auf 11,8 m reduziert
Zur Optimierung sind in einem iterativen Prozess unter anderem Tunnellage, Tunnelquerschnitt, Ausrüstung, Ausbau-standards und Kosten angepasst worden. Dabei waren auch Abhängigkeiten zur ersten Tunnelröhre und zukünftige Gesamtkonzepte, z. B. für das Lüftungs-system oder das Betriebskonzept, zu berücksichtigen. Beim Tunnelnormalprofil zeigen sich als Besonderheit des Projekts, in dem der Fahrraum kleiner ausgebildet wird, als dies die entspre-chenden Normen und Richtlinien vorschreiben. Aus diesem Grund konnte der Tunneldurchmesser deutlich auf 11,8 m reduziert werden.
All diese Spezifikationen machen die Planung nicht einfacher und erhöhen den Aufwand in der Projektentwicklung. «Dass sich dies sowohl hinsichtlich Kosten wie auch der Zeiteinsparungen dennoch lohnt, mag auf den ersten Blick verblüffen», meint Biaggio und nennt als eine weitere Spezialität des Projekts den Umgang mit dem Tunnelausbruch-material in einer Gesamtkubatur von 7,4 Mio. t. Dessen Wiederverwendung als Betonzuschlagstoff hat sich zwar in Tunnelgrossprojekten als Stand der Tech-nik etabliert. Nichtsdestotrotz ist es aber aus Sicht des Astra erstaunlich, dass schlussendlich trotz allen Aufbereitungs-prozessen und daraus resultierenden Materialausscheidungen nur rund 5% des Gesamtvolumens auf einer Deponie abgelagert werden müssen. Dies ist laut Astra dank zwei Projektbestandteilen möglich, welche von den Kantonen Uri und Tessin sowie der Standortgemeinde Airolo als Ideen eingebracht und ent-wickelt worden sind und auch finanziell mitgetragen werden.
Vom Ausführungsprojekt zum Baubeginn
Das vom Bundesamt für Strassen (Astra) ausgearbeiteten Detailprojekt, das alle bautechnischen Einzelheiten umfasst und die Grundlage für die Ausschreibung und die Vergabe der Bauarbeiten bildet, wurde durch das Eidgenössische De-partement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) mit den damit verbundenen Einsprachen geprüft. Daraufhin ist die Plangenehmigungs-verfügung Anfang 2020 unter Auflagen durch das Uvek rechtskräftig geworden. Mit dem Ausführungsprojekt wurde die vom Bundesrat im Rahmen des Generel-len Projekts festgelegte Planung konkre-tisiert.
Erkenntnisse aus der Projektentwicklung
Seit dem Entscheid des Bundesrats für die Erstellung einer zweiten Tunnelröhre im Jahr 2012 bis zum vorgesehenen Beginn der Hauptarbeiten 2022 werden zehn Jahre vergangen sein, zieht der Astra-Vizedirektor Biaggio Zwischenbi-lanz und meint: «Für die Umsetzung der Baumassnahmen ist anschliessend eine Zeitspanne von weiteren zehn Jahren vorgesehen, davon sieben Jahre für den Neubau der zweiten Röhre und drei Jahre für die Sanierung des bestehenden ersten Tunnels. Die Dauer der Projektent-wicklung erscheint als langer Zeitraum und ist es natürlich auch», räumt Biaggio ein und setzt als Quervergleich das letzte grosse Tunnelvorhaben am Gotthard, den Basistunnel der Bahn. Dazu weist er darauf hin, dass am Basistunnel in vielen Bereichen Pionierarbeit geleistet worden ist, von welcher das Astra für die 2TG heute profitieren kann. «Aber dennoch ist es für den Strassentunnel gelungen, durch eine sehr schlanke Projektorgani-sation mit kurzen Entscheidungswegen die Planung in wenigen Jahren entschei-dend voranzubringen.»
Teamarbeit aller Projektbeteiligten
Neue Wege hat das Astra auch bei der Zusammenarbeit mit allen in die Planung involvierten Stellen beschritten. Bereits zu Beginn und auch im Projektablauf wurden der Kontakt und die Mitwirkung von Gemeinden, Kantonen, Bundesäm-tern, Anwohnern und Umweltorganisatio-nen bzw. NGOs gesucht. Dass schluss-endlich in der öffentlichen Auflage nur 14 Einsprachen eingereicht worden sind, ist für ein Projekt dieser Grössenord-nung und insbesondere für den Mythos Gotthard als hervorragendes Resultat zu werten. Dies führt zur zweiten These: Dass nämlich ein Mitwirkungsverfahren die Projektentwicklung schlussendlich verkürzt.
Die Planung von realistischen Terminen stellte eine zentrale Massnahme zur Bewältigung der organisatorischen Herausforderungen dar. Es war das Ziel, mittels qualitativ hochstehender Unter-lagen bei der anschliessenden Ausarbei-tung des Detailprojekts und den Sub-missionsunterlagen eine stabile Basis für die Realisierung zu schaffen.
In der Folge sind durch das Astra ein Loskonzept und darauf aufbauend die Submissionsunterlagen erarbeitet worden. Neben den grossen Tunnel-hauptlosen hat es auch verschiedene Vorbereitungs-und Nebenlose gegeben, welche kleineren Firmengruppen oder lokalen Unternehmungen Chancen boten, darüber hinaus auch für Dienst-leistungsangebote aus der Region.
Ergänzende BIM-Planung
Auch wenn die Geologie des Gotthard-massivs dank der guten Vortriebsdoku-mentation der ersten Tunnelröhre und den ergänzend durchgeführten Sondier-bohrungen weitgehend bekannt ist, waren noch verschiedene technische Herausforderungen zu meistern. Zur frühzeitigen Erkennung und besseren Beherrschung dieser Risiken hat sich das Astra entschieden, an einer Tunnelzent-rale und einem Tunnelabschnitt ergän-zend zur klassischen Projektierung auch Erfahrungen mit einer parallelen Planung nach Building Information Modeling (BIM) zu sammeln.
Der Pilotabschnitt dafür umfasst eine rund 120 m lange Strecke im Bereich Hospental einschliesslich Querverbin-dung, SOS-Nische und SISto. Dazu erfolgt eine Kollaboration zwischen den Bau-und den BSA-Planern auf Stufe Detailprojekt LoD 300+. Projektstruktur und Modellbezeichnungen wurden aufwärtskompatibel eingeführt und weitere Projektabschnitte wie beispiels-weise Lüftungszentralen integriert. Die Erkenntnisse aus diesen Arbeiten werden die Anwendung von BIM in weiteren Infrastrukturprojekten massge-bend beeinflussen, ist Guido Biaggio vom Astra überzeugt.
Sicherheitsvorkehrungen beim Bau der zweiten Röhre
Die Baustellen 2TG sind von der im Betrieb stehenden ersten Röhre baulich und sicherheitstechnisch getrennt, sodass die Verkehrsführung während den Arbeiten nicht beeinflusst wird. Die erste Röhre, der SISto und weitere bestehende Bauwerke werden laufend auf Beeinflussung durch die Arbeiten an der 2TG überprüft, heisst es vom Astra.
Die Kontrolle beinhaltet Erschütterungs-messungen an den bestehenden Portalzentralen, Zwischendecken, Vorsatzschalen und Einrichtungen sowie Verformungsmessungen des Gewölbes und an der Zwischendecke. Im Weiteren sind visuelle Kontrollen (z. B. Risse oder Abplatzungen der Verkleidung) vorgese-hen, um eine eventuelle Überbeanspru-chung während der Bauphase der 2TG zu erkennen.
Geologie erfordert Zwischenangriffe
Aus dem Bau des ersten Strassentunnels sind die geologischen Verhältnisse im Gotthard-Gebirge weitgehend bekannt. Daher werden von der Projektleitung Überraschungen beim Vortrieb der 2TG als unwahrscheinlich eingestuft und sie erwartet für einen Grossteil des Aus-bruchs ein bautechnisch günstiges Gestein. Im Norden und im Süden gibt es je eine bautechnisch relevante Störzone: die rund 270 m lange Störzone Nord – etwa 4,1 km nach dem Portal Gösche-nen – und die knapp 300 m lange Störzone Süd – etwa 4,9 km nach dem Portal Airolo. Beide Störzonen können nicht mit der Tunnelbohrmaschine aufgebohrt, sondern müssen vorgängig im Sprengverfahren durchörtert werden, damit die TBM anschliessend durchge-schoben werden kann. Der Zugang zu diesen Zonen erfolgt durch je einen separaten Angriffsstollen.
Synergieeffekte bei Werkleitungskanal genutzt
Im Hohlraum unterhalb der Fahrbahn werden in zwei Werkleitungskanälen alle Leitungen für Energie und Kommunika-tion sowie die Löschwasserleitung für die Versorgung der Hydranten angeordnet. Der WELK wird so ausgestaltet, dass er für die Durchleitung einer 380-kV-Leitung der Netzbetreiberin Swissgrid AG verwendet werden kann. Damit ist die Vor-aussetzung geschaffen, dass die Hoch-spannungsleitung, die jetzt noch über den Gotthardpass führt, rückgebaut und unterirdisch geführt werden kann. Dies im Sinne der Bündelung von Infrastrukturen, eine Chance, die beim Bahn-Basistunnel nicht genutzt worden ist. ■