Tragfähiger Beton ohne Stahlarmierung
Im «Innovationslabor Grüze» in Winterthur kommen erstmals wiederverwendbare Betonelemente mit Carbonbewehrung im Hochbau zum Einsatz. Dank dieser Carbon-Prestressed-Concrete-Technologie (CPC) werden nur noch 25 Prozent der üblichen Betonmenge benötigt und auf den Einsatz von Armierungsstahl kann verzichtet werden.
Ende Mai 2024 ist in Winterthur das Innovationslabor Grüze eröffnet worden. Im April ist der offene Pavillon im Osten der Stadt in wenigen Tagen aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt worden. Dabei kamen erstmals extradünne, wiederverwendbare CPC-Betonelemente (Carbon Prestressed Concrete) zum Einsatz.
In kurzer Zeit geplant und realisiert
Diese zukunftsweisende Technologie kam bisher bereits im Tiefbau zum Einsatz, etwa bei kleineren Brücken. Dass nun das erste Gebäude aus CPC-Elementen in Winterthur gebaut wurde, liegt an der Initiative des Tiefbauamts, dessen Leiter Martin Joos die Idee entwickelte und die ZHAW und deren Spin-off CPC AG ins Boot holte. Dank weiteren Partnern wie Holcim, der die Betonelemente industiell produziert und im Sinne der Kreislaufwirtschaft vermietet sowie anschliessend wiederverwendet, sowie der Landolt-Gruppe als Baumeister wurde aus den Plänen innert weniger Monate Realität.
Der einstöckige Pavillon, der auf dem brachliegenden städtischen Grundstück beim Bahnhof Grüze steht, dient einerseits als Besucherzentrum für die Grossbaustelle der Querung Grüze, anderseits als Veranstaltungsort und Treffpunkt für das Grüze-Quartier, das sich in den nächsten Jahren durch mehrere Bauprojekte stark verändern wird.
Vermietete Fertigteilplatten
Das Innovationslabor erreicht mit dem gezielten Einsatz vorgefertigter CPC-Platten Materialeinsparungen von bis zu 75 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen Deckenkonstruktionen aus Beton, bei gleichbleibender Stabilität und Langlebigkeit des Bauwerks. Holcim hat die CPC-Fertigteilplatten für das Innovationslabor in einem Werk in Deutschland hergestellt und stellt sie der Stadt Winterthur gegen eine Jahresgebühr zur Verfügung. Nach Gebrauch wird Holcim die Fertigteilplatten zurücknehmen und für einen neuen Einsatz aufbereiten. Dabei strebt der internationale Zement- und Betonhersteller die Einführung eines neuartigen Geschäftsmodells an, das die Baustoffe länger im Kreislauf hält.
Mit Carbondrahtnetzen bewehrt
CPC-Platten sind Carbonbetonplatten die mit engmaschigen, vorgespannten Carbondrahtnetzen bewehrt sind. Die Carbondrähte sind in beide Richtungen vorgespannt und durchspannen die Platte endlos. Da Carbon eine sehr hohe Zugfestigkeit aufweist und nicht korrodiert, sind CPC-Platten tragfähig und langlebig. Die bei herkömmlichen Stahlbetonplatten aus Gründen des Korrosionsschutzes erforderliche Bewehrungsüberdeckung entfällt. CPC-Platten sind deshalb im Vergleich mit klassischen Betondecken drei- bis viermal dünner und haben bei gleicher Tragfähigkeit ein geringeres Gewicht. Dank der Vorspannung bleiben die steifen Platten unter Gebrauchslast rissfrei. Damit entfällt ebenfalls die Erstellung einer aufwendigen Deckenschalung.
Holcim stellt die CPC-Platten in einer Dicke von 40 mm oder 70 mm und einer Fläche von 3,5 mal 17 Meter her. Anhand der Planungsdaten werden diese mit CNC-gesteuerten Maschinen in beliebige Formstücke geschnitten. Diese lassen sich im Werk zu Bauteilen zusammengsetzen und auf der Baustelle fertig montieren. Die endgültige Bauteilgrösse ist dabei nicht auf die Transportgrösse beschränkt: Die transportfähigen Bauteile können auf der Baustelle mittels kraftschlüssiger Verbindungen zu Grossbauteilen zusammengefügt werden.
Spannweiten von bis zu neun Meter
Die 9,6 mal 13,2 Meter grosse Decke des Innovationspavillons funktioniert als gedrehte Rippendecke, wobei die nur 4 cm starke durchlaufende Deckenplatte die globalen Zugkräfte aus den Momenten übernimmt. Hauptstege in Plattenlängsrichtung sind alle 1,2 Meter angeordnet und erlauben Spannweiten von bis zu 9 Meter. Die Rippen bestehen aus 7 cm starken und 52 cm hohen CPC-Platten und sind über Nocken mit der Deckenplatte vermörtelt. Sie wirken im Verbund mit der Deckenplatte und übernehmen die globalen Druckkräfte aus den Momenten, sowie die Querkräfte.
Angesichts der zahlreichen Vorteile, die die CPC-Technologie im Hochbau bietet und die im Innovationslabor erfolgreich demonstriert werden, setzt sich Holcim für die Skalierung dieser Technologie ein. Derzeit befindet sich ein erstes Wohnhausprojekt mit dieser neuartigen Technologie in der abschliessenden Planungsphase.
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