Regina Gorza: «Es sitzen gute Leute am Tisch»
Seit Mitte des vergangenen Jahres leitet Regina Gorza die Geschäftsstelle von Baukader Schweiz. Wie sie in einer aussergewöhnlichen Situation übernahm und welche Ziele sie mit ihrem Team verfolgt, erklärt sie im Gespräch.
Im November 2018 entstand bei Baukader Schweiz mit dem Tod des amtierenden Geschäftsführers, Rut Verdegaal, eine schmerzhafte Lücke und es gab eine längere interimistische Phase. Im Mai 2019 stellte Baukader Schweiz Regina Gorza als neue Geschäftsführerin vor. Gorza, die davor als Direktorin die Geschäftsstelle des Schweizerischen Samariterbunds geleitet hatte, nahm ihre neue Aufgabe bei Baukader Schweiz im Juni 2019 auf.
«die baustellen»: Frau Gorza, Sie haben die Geschäftsführung von Baukader Schweiz vor einem Dreivierteljahr in einer Krisensituation übernommen. Haben Sie mittlerweile die Gelegenheit gefunden, um so richtig in die Bauwelt einzutauchen?
Regina Gorza: Thematisch bin ich noch nicht so tief in die Baubranche eingetaucht, wie ich das gerne wäre. Die Situation auf der Geschäftsstelle war bei meinem Antritt schwierig. Es gehörte zu meinen wichtigsten ersten Aufgaben, mit den Mitarbeitenden zu sprechen, um abzuklären, wie es ihnen nach den herausfordernden Monaten geht, welche Bedürfnisse sie haben und wo sie mit ihrer fortlaufenden Arbeit stehen. Insgesamt musste ich mir so rasch wie möglich einen Überblick über die laufenden Projekte, Pendenzen und, ganz allgemein, über das drängende Tagesgeschäft verschaffen. Um dies zu meistern, galt es, die Prioritäten, die ich mir persönlich für diesen Wechsel gesetzt hatte, etwas zurückzustellen. Denn tatsächlich hätte ich gerne viel früher die Kontakte zu Partnern, Sektionen und Mitgliedern intensivieren wollen, um so ein gutes Gespür für die Branche zu entwickeln.
Haben Sie bereits Vertreter von Gewerkschaften und Baumeisterverband kennen gelernt?
Ja, dazu hatte ich die Gelegenheit. Ich konnte unsere Ansprechpartner bei den Sozialpartnern Unia und Syna kennenlernen. Ebenso traf ich mit Benedikt Koch und Gian-Luca Lardi die Köpfe des Baumeisterverbands. Diese und weitere wichtige Kontakte zu vertiefen, zählt dieses Jahr zu meinen grossen Prioritäten.
Kehrt in Verband und Geschäftsstelle nun also langsam wieder «Normalität» ein?
Ja und nein. Die Stimmung auf der Geschäftsstelle ist gut. Wir konnten vergangenes Jahr wichtige Vakanzen besetzen, sind gut aufgestellt und sehr motiviert. Dennoch sehe ich 2020 noch als Jahr der Konsolidierung, in dem relativ viel Aufmerksamkeit und Arbeit in den operativen Bereich fliessen wird. Parallel dazu gilt es, gemeinsam mit dem Zentralvorstand auch strategische Arbeit zu leisten.
Baukader Schweiz vertritt die Interessen der angestellten Baukader – also Poliere, Bauführer – gegenüber deren Arbeitgebern. Wie geht es den Schweizer Baukadern heute?
Der Druck auf sie ist gross. Ich war vergangenes Jahr an der ersten Nationalen Präsidententagung von Baukader Schweiz dabei, zu der alle Sektionspräsidenten eingeladen waren. Zudem habe ich mittlerweile vier Generalversammlungen von Baukadersektionen besucht. Aus Gesprächen bei diesen Treffen, aber auch aus Schilderungen, die uns hier auf der Geschäftsstelle erreichen, zeigt sich schon, dass die Baukader in ihrem Arbeitsalltag unter grossem Druck stehen. Es wird viel gebaut, die baukonjunkturelle Lage ist nach wie vor sehr gut, trotzdem herrscht ein extremer Preis- und folglich auch Zeitdruck, der sich auf die Mitarbeitenden auswirkt. Die Baukader befinden sich ein bisschen im Sandwich zwischen den Unternehmern, die Druck machen, und den Arbeitern, die sich zunehmend gehetzt fühlen. Im Ergebnis bedeutet die Situation für die Baukader, dass für sie die viel zitierte Work-Life-Balance vielerorts nicht mehr stimmt. Bei ihnen ist denn auch der Wunsch vorhanden, insbesondere im Bereich von Arbeits- und Pausenzeiten usw. bessere Vereinbarungen zu treffen.
Äussern sich die Kader grundsätzlich positiv zu der Art und Weise, wie sie von Baukader Schweiz vertreten werden?
Ganz klar ja. Ich habe an den bisherigen Treffen einen sehr positiven und wohlwollenden Grundtenor gespürt. Unsere Poliere und Werkmeister sind im Baukader-GAV organisiert, der per Anfang dieses Jahres mit den jüngsten Zusatzvereinbarungen aufgelegt wurde. Demgegenüber sind die Bauführer in einem separaten Vertrag organisiert, dem Bauführervertrag. Dieser stammt aus dem Jahr 1995 und wurde letztmals Ende 2001 mit einer Zusatzvereinbarung ergänzt. Bei den Bauführern wünschen sich deshalb schon einige, dass wir etwas mehr für sie machen.
Wie geht der Verband damit um?
Wir nehmen das selbstverständlich ernst und müssen uns gemeinsam mit dem Zentralvorstand anschauen, in welchen Bereichen wir uns engagieren können, um unsere Bauführer zu unterstützen. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt meiner Arbeit in einer Arbeitnehmerorganisation und eine ganz neue Erfahrung für mich. Ich freue mich darauf, dies anzugehen.
Der Baukadervertrag musste letztes Jahr nicht neu verhandelt werden, beim Bauführervertrag sind aktuell keine neuen Verhandlungen in Sicht. Welche Unterstützung kann der Verband seinen Mitgliedern abseits davon bieten?
Baukader Schweiz bietet seinen Mitgliedern eine breite Palette von Angeboten und Dienstleistungen, von denen sie in ganz unterschiedlichen Situationen Gebrauch machen und profitieren können. Ein Beispiel dafür ist die kostenlose Rechtsberatung, wo unsere Mitglieder fachkundige Auskünfte im Bereich des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts erhalten. Hat ein Mitglied also das Gefühl, in seinem Betrieb werde gegen gültige GAV-Vereinbarungen verstossen, nimmt die Rechtsberatung entsprechende Schilderungen auf, beurteilt sie und erteilt Rat zum weiteren Vorgehen.
Wird dieser Kanal rege genutzt?
Die Rechtsberatung wird in Anspruch genommen. Wir werden aber nicht überflutet von Anliegen und Fallschilderungen. Ich bekomme insgesamt den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen den Kadern und ihren Arbeitgebern gut ist. Poliere und Bauführer sind Schlüsselmitarbeiter für die Unternehmer. In Zeiten des Fachkräftemangels tun Arbeitgeber gut daran, ihnen Sorge zu tragen.
Wie gut und schlagkräftig ist Baukader Schweiz heute aufgestellt, um in künftigen Verhandlungen mit den Arbeitgebern substanzielle Forderungen durchbringen zu können?
Der Verband ist gut aufgestellt. Wir haben im vergangenen Jahr leichte Restrukturierungen vorgenommen. Die bisherige Verbandskonferenz wurde abgeschafft zugunsten einer jährlichen Delegiertenversammlung. Neu gibt es eine Tagung der Präsidenten. Diese Veränderungen sind aus meiner Sicht richtig. Sie ermöglichen einen optimaleren Dialog und schnellere Entscheidungswege. Künftigen Verhandlungen blicke ich auch deshalb positiv entgegen, weil sowohl bei uns als auch bei den Verbänden und Organisationen, mit denen wir paritätisch verhandeln, gute Leute am Tisch sitzen.
Während die Gewerkschaften gerne auch schrille Töne produzieren, verzichtet Baukader Schweiz komplett darauf. Wie erleben Sie dieses Verhältnis?
Die Gewerkschaften, die vor allem im Bereich des Landesmantelvertrags für ihre Mitglieder einstehen müssen, sind mit etwas anderen Herausforderungen konfrontiert als wir bei Baukader Schweiz. Es wird mit härteren Bandagen gekämpft und in einer anderen Tonlage diskutiert. Damit habe ich kein Problem. Im Bereich des Baukadervertrags steht für uns allerdings im Vordergrund, einen Konsens mit den Partnern zu finden, um gegenüber dem Baumeisterverband inhaltlich geeint auftreten zu können. Baukader Schweiz übernimmt hierbei eine Brückenbauerfunktion, die für die Gesamtverhandlung wertvoll ist.
Es ist keine Option für Baukader Schweiz, kommunikativ auch mal etwas stärker auf die Pauke zu hauen?
Doch, das ist für mich eine Option, wenn es inhaltlich angezeigt ist. Unsere Aufgabe ist es, für unsere Mitglieder einzustehen und ihre Interessen gegenüber den Arbeitgebern zu vertreten. Ich meine aber, dass wir hierfür unsere bisherige Sprache und Tonalität nicht grundlegend ändern müssen.
Baukader Schweiz ist landesweit in 38 Sektionen aufgesplittert. Ist es schwierig, aus dieser föderalen Struktur heraus Kräfte zu bündeln?
Die Schweiz ist geprägt von unterschiedlichen Kulturen. Diese Vielfalt wird von den Sektionen, die sich übergeordnet in sechs Regionen gruppieren, optimal repräsentiert. Natürlich bringt die Struktur aber auch Herausforderungen mit sich. Die Romandie oder das Tessin funktioniert nun einmal etwas anders als die Deutschschweiz. Und so müssen und wollen wir immer wieder aktiv abgleichen, ob für die Sektionen und Regionen gleichermassen stimmt, was auf Verbandsebene passiert.
Sind die einzelnen Sektionen und Regionen bereit, entsprechende Kompromisse mitzutragen?
Auf jeden Fall. Es ist allen klar, dass wir die regionalen Eigenheiten berücksichtigen müssen, um als starkes Ganzes auftreten zu können. Dabei hilft es, dass sich die Anliegen der Baukader in den jeweiligen Regionen nicht fundamental unterscheiden. An der Nationalen Präsidententagung, die wir letztes Jahr erstmals durchführten, wurde deutlich spürbar, dass es einen guten beruflichen Zusammenhalt gibt und dass der Austausch über die einzelnen Regionen hinweg sehr geschätzt wird.
Wo sehen Sie das Potenzial, um den Verband schlagkräftiger zu machen?
Wir führen derzeit wichtige Gespräche zur Entwicklung unserer neuen Strategie für die kommenden Jahre. Im Zuge dieses Strategieprozesses identifizieren wir die Bedürfnisse der Mitglieder neu und leiten daraus ab, wo wir uns inhaltlich verstärken wollen und müssen. Unser Ziel ist es, die neue Strategie im kommenden Jahr der Delegiertenversammlung vorzulegen. Nebst den inhaltlichen Positionen ist die Kommunikation sicher ein Bereich, in dem ich noch Potenzial sehe. Dies gegenüber unseren Mitgliedern, mit denen wir verstärkt bedarfs- und zielgruppengerecht kommunizieren wollen. Aber auch gegenüber der Öffentlichkeit, die ja auch potenzielle neue Mitglieder umfasst.
Die Mitgliederentwicklung und -aktivierung war einer von mehreren Schwerpunkten in der Vorgängerstrategie. Wie entwickelt sich der Mitgliederbestand?
Wir sind grundsätzlich gut unterwegs, was die Mitgliederzahl angeht. Aber es geht uns wie anderen Verbänden auch: Man muss einiges bieten, um die Mitglieder zu halten und neue zu gewinnen. Und die Demografie geht nicht an uns vorbei. Auf lange Frist geht es realistischerweise eher darum, den Mitgliederstand zu halten. Noch schwieriger ist es, die Mitglieder dafür zu gewinnen, aktiv im Verband oder in den Sektionen mitzuwirken. Unsere Mitglieder sowie potenzielle künftige Mitglieder sind in vielfältigen Bereichen stark eingebunden: Ausbildung, Beruf, Familie. Hier stehen wir vor der Herausforderung, uns noch markanter so aufzustellen, dass die Leute zur Überzeugung gelangen, dass sich eine Mitgliedschaft und ein aktives Engagement bei Baukader Schweiz lohnt.
In der Schweiz gibt es einige Tausend Baukader, die nicht Mitglied im Verband sind. Womit würden Sie diese Leute zu überzeugen versuchen?
In erster Linie damit, dass wir uns für ihre Interessen bei den Arbeitgebern stark machen und damit entscheidend dazu beitragen, dass ihre Arbeitsbedingungen gut sind. Darüber hinaus kann Baukader Schweiz mit einer sehr guten Kultur punkten sowie mit einem breiten Angebot an Dienstleistungen, von denen unsere Mitglieder profitieren können. So bieten wir unseren Mitgliedern beispielsweise die schon angesprochene unentgeltliche Rechtsberatung an, interessante Verlagsprodukte sowie auch Angebote und Unterstützungen im Bereich der Weiterbildung. Nebst den Vorzügen, die der nationale Verband anbietet, finden in den Sektionen überaus attraktive Aktivitäten statt, die das lokale Netzwerk und den Zusammenhalt optimal stärken.
Sie erwähnen die Weiterbildung. Was bieten Sie hier konkret?
Zum einen bieten wir regelmässig konkrete Weiterbildungskurse im nonformalen Bereich an. Ein Beispiel dafür war im vergangenen Jahr ein zweitägiger Kurs zur Digitalisierung auf der Baustelle (BIM) oder der Kurs über die Baustellensignalisation mit der neuen VSS-Norm 40 886. Solche Kurse können unsere Mitglieder zu vergünstigten Tarifen besuchen. Zum anderen haben wir die Möglichkeit, Mitglieder im Bedarfsfall mit zinslosen Darlehen zu unterstützen, wenn sie eine formale Kaderweiterbildung besuchen wollen, diese aber nicht allein finanzieren können.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit des Verbands mit den Bauschulen?
Sehr gut. Ich spüre Offenheit und wir erhalten gute Möglichkeiten, um an den einzelnen Schulen präsent zu sein und Baukader Schweiz vorzustellen. Viele Schulen arbeiten zudem mit unserem «Taschenbuch für Bauführer und Poliere», das jetzt in einer überarbeiteten Ausgabe erscheint. Auch gegenüber den Schulen geht es für mich in den nächsten Monaten darum, im persönlichen Kontakt vertieft zu erfahren, wo die Zusammenarbeit optimiert und vertieft werden kann.
An der Aus- und Weiterbildungsfront stellt sich seit Jahren die grosse Frage, wie es gelingen kann, die Branche mit ausreichend guten Kaderleuten zu versorgen. Wie geht Baukader Schweiz mit dieser Herausforderung um?
Wo immer wir präsent und aktiv sind, ist es für uns entscheidend, den jungen Leuten Mut zu machen, einen handwerklichen Beruf zu erlernen. Das betone ich, wo immer ich kann: Maurer ist ein toller Beruf. Er bietet die Möglichkeit, in herausragenden Projekten mitzuarbeiten. Und er bietet eine Grundlage für vielfältige Weiterbildungen und zahlreiche Karriereoptionen. Diese Optionen kann und muss man noch verstärkt betonen. Einerseits, um Junge wieder vermehrt fürs Handwerk zu begeistern, andererseits aber auch, um junge Handwerker für weitere Karriereschritte innerhalb ihres Berufsfelds zu motivieren.
Auch in der Frauen- und Mädchenförderung ist Baukader Schweiz aktiv. In den letzten Jahren stand etwa der Zukunftstag des Verbands jeweils unter dem Motto: «Mädchen – bauen – los». Wollen Sie das weiterführen?
Unbedingt. Das ist ein ganz tolles Projekt, das wir in dieser Form weiterführen und weiterentwickeln wollen. Leider hatte ich im vergangenen Jahr nicht die Gelegenheit, selbst in der Maurerlehrhalle in Sursee oder einem der teilnehmenden Betriebe präsent zu sein. Dieses Jahr aber habe ich mir den Termin dick in der Agenda angestrichen und kann mir gut vorstellen, bei dieser Gelegenheit erste eigene Maurer-Erfahrungen zu sammeln. Inwieweit das Projekt zu messbaren Ergebnissen führt, kann ich momentan noch nicht beurteilen. Grundsätzlich ist aber jede Massnahme, die zur Öffnung von Berufen beiträgt, eine gute Massnahme.
Welches sind denn Ihre Ziele als Geschäftsführerin von Baukader Schweiz, an denen Sie sich messen lassen wollen?
Die messbaren Ziele werde ich mit der neuen Strategie erhalten, die in Arbeit ist. Persönlich habe ich mir zum Ziel gesetzt, die verbandsinterne Kommunikation und den Dialog zu stärken. Und, ungeachtet der noch laufenden Strategieerarbeitung, will ich dem Verband zu mehr und breiterer Wahrnehmung verhelfen. Baukader Schweiz soll als die Kaderorganisation der Schweizer Bauindustrie wahrgenommen werden, in welcher Baukader aus Überzeugung dabei sein wollen.
Persönlich:
Name: Regina Gorza
Funktion: Geschäftsführerin Baukader Schweiz
Zivilstand: verheiratet Freizeit: im Garten arbeiten, ein gutes Buch lesen, Freundschaften pflegen
Werdegang: Kauffrau EFZ, Weiterbildung zur Personalassistentin, FH-Nachdiplomstudium Management in NPO, CAS in Organisationsentwicklung