Die Ewigkeit im Felslabor simulieren

Zement ist eines der Schlüssel­materialien, will man radioaktiven Abfall sicher lagern. Nötig ist eine schier unendliche Haltbarkeit der Behälter. Empa-Forschende analysieren daher Materialsysteme, die diese Aufgabe bewältigen können.

Sondierstollen im internationalen Felslabor Mont Terri. Seit 1996 werden hier Gesteins­formationen untersucht, die bei der Lagerung radioaktiver Abfälle eine Rolle spielen könnten. Foto: BGR

Wenn Barbara Lothenbach ihre Forschungs­projekte vorantreibt, weiss sie, dass sie deren endgültiges Ergebnis nicht mehr erleben wird: 100’000 bis eine Million Jahre soll halten, was sie erarbeitet. Die Forscherin vom Empa-Labor «Beton & Asphalt» untersucht zement­basierte Materialien, die sich für die Entsorgung von radioaktiven Abfällen eignen.

In der Schweiz sollen entsprechend dem Kernenergiegesetz geologische Tiefenlager künftig schwach-, mittel, und hochaktiven Atommüll aufnehmen. Hierzu müssen stabile Gesteins­schichten vorhanden sein, die die Endlager­behälter umschliessen. Da Material­forscher allerdings wissen, dass kein Material unver­änderlich ist und selbst Marmor, Stein und Eisen brechen, muss ein Wirtsgestein ausgesucht werden, das über Jahrtausende geologisch möglichst stabil und dicht ist. Der 180 Millionen Jahre alte Opalinuston, der sich in der Schweiz beispielsweise zwischen Olten und Schaffhausen in einer Tiefe von 600 Metern ausdehnt, hat sich als passendes Wirtsgestein herauskristallisiert. Da er eine geringe Wasserleit­fähigkeit hat, besitzt er hervorragende isolierende Eigenschaften.

Felsenfest im Berg eingeschlossen
Doch wie reagieren die kristallinen Strukturen und die Tonmineralien von Opalinuston mit zement­basierten Sicherheitsbarrieren, wenn der nagende Zahn der Zeit zu Veränderungen führt? Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) benötigt hierzu Daten, damit ein Endlager für Atommüll im Hinblick auf Umweltschutz und Sicherheit felsenfest in der Erde eingebettet werden kann.

Den dazu nötigen Analysen widmen sich auch Barbara Lothenbach und ihr Team, indem sie Experimente im Felslabor Mont Terri in St. Ursanne, das in einer Opalinus­tonschicht errichtet wurde, unter realitätsnahen Bedingungen durchführen. Gemeinsam mit internationalen Partnern und Forschungs­gruppen aus der Schweiz wie etwa der Universität Bern und dem Paul Scherrer Institut (PSI) werden Reaktionen von zement­basierten Materialien und dem umliegenden Opalinuston simuliert. Die Langzeit­entwicklung der Grenzschichten zwischen den sehr unterschiedlichen Material­systemen untersuchen und modellieren die Forschenden dabei in mehrjährigen Versuchsansätzen bei unterschiedlichen Temperaturen zwischen 20 und 70 Grad Celsius.

Comeback eines alten Bekannten
Von besonderer Bedeutung ist hierbei der stark alkalische pH-Wert von Zement, der bei herkömmlichem Portland-Zement bei pH 13,5 oder sogar darüber liegen kann. Damit das alkalische Milieu die Tonmineralien in der Umgebung weniger stark angreift, schien zunächst eine Neuentwicklung, der sogenannte «low-alkali»-Zement, ein guter Kandidat für langlebige, Zement-basierte Schutzbarrieren zu sein. Mit einem pH-Wert von 12,2 oder tiefer weist er eine mehr als zehnmal niedrigere Alkalikon­zentration auf. Lothenbach und ihr Team verglichen daher Zementarten mit unterschiedlichen pH-Werten mittels thermo­dynamischer Modellierungen und Röntgen­diffraktions­analysen. Erstmals liegen damit Langzeit­ergebnisse vor, mit denen sich die Zementarten und ihre Evolution im Berg charakterisieren lassen. Es stellte sich heraus, dass low-alkali-Zement tatsächlich schonender mit den Tonmineralien umgeht. Allerdings bilden sich bei Verwendung von herkömmlichem Portland-Zement über die Zeit chemische Verbindungen, die zu ähnlich günstigen Verhältnissen in der Sicherheits­barriere führen. «Damit ist der preiswertere und erprobte Portland-Zement wieder zurück in den Mittelpunkt des Interesses gerückt», sagt Lothenbach.

Verzwickte Radioaktivität
Sollen zementbasierte Materialien radioaktive Substanzen vom Austritt in die Umwelt abhalten, darf zudem die Reaktion zwischen dem Atommüll und dem Zement keinesfalls die Sicherheits­barriern des Lagers beeinträchtigen. Die Empa-Forscher haben darum radioaktive Isotope, die im radioaktiven Abfall vorhanden sind, wie etwa jene des Elements Selen, in Adsorptions­studien untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Selenverbindungen vom Zement aufgenommen werden, und zwar in grossen Mengen. «Eine Schutzbarriere aus Beton verzögert das Austreten von Radioaktivität in die Biosphäre, da die Zement­mineralien die radioaktiven Substanzen binden und damit eine Verbreitung aufhalten», so Lothenbach.

So einfach lassen sich allerdings nicht alle Prozesse bewerten, die im komplexen Zusammenspiel der aufeinander­treffenden Materialien ablaufen, gibt die Forscherin zu bedenken. Man hatte zwar gehofft, dass die Entwicklung von neuen low-alkali-Zementarten Vorteile für die Haltbarkeit der Sicherheits­barrieren bieten. Allerdings stellten sie bei anderen Eigenschaften Nachteile fest: Mittels thermodynamischer Modellierungen und experimentellen Daten konnten die Empa-Forschenden erkennen, dass solche Zementarten Substanzen wie radioaktives Iodid schlechter binden.

Gefährliche Korrosion
Erstrebenswert ist eine Isolations­schicht, die zwar möglichst wasserdicht, jedoch nicht gasdicht abschliesst. Gase können in einem Tiefenlager beispielsweise durch Korrosion der eingeschlossenen Stahlbehälter entstehen, wobei sich Eisenhydroxid bildet und Wasserstoff freigesetzt wird. Solche Gase, die über die Zeit in kleinen Mengen entstehen, müssen entweichen können, um die Entstehung von Überdruck zu verhindern. Um langfristigen Reaktionen bei der Korrosion von Eisen an der Grenze zum Zementmaterial auf die Spur zu kommen, führten die Forschenden Untersuchungen mittels chemischer Analysen und Spektroskopie durch. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich Portland-Zement mit hohen pH-Werten besser bewährt als low-alkali Zement. Nun stehen weitere Experimente an, die diese noch wenig bekannten Korrosionsprozesse genauer beleuchten sollen.

Zudem hat Lothenbachs Team die Phasen in der Interaktions­zone von Zement und Opalinuston charakterisiert, die aus der Wechselwirkung von Tonmineralien mit den Bestandteilen des Zements entstehen, wie etwa eine Magnesiumsilikat-Phase. Dass derartige Zwischenschichten entstehen und zu einer Abdichtung der Schutzschicht beitragen könnten, war bisher nicht eindeutig geklärt. Erkenntnisse dieser Art können zur Entwicklung neuer Materialsysteme beitragen, die für die gesamte Bauindustrie interessant sind, ist Lothenbach überzeugt. Denn trotz der guten Material­eigenschaften von Portland-Zement wird heute verstärkt nach Umwelt- und ressourcen­schonenderen Alternativen gesucht, die auch für andere Anwendungen als in einem geologischen Tiefenlager eingesetzt werden könnten.


Gemeinsam mit internationalen Partnern und Forschungsgruppen aus der Schweiz untersuchen Empa-Forschende die Reaktionen von zementbasierten Materialien und dem umliegenden Opalinuston. Foto: Pierre Montavon.


Empa-Forscherin Barbara Lothenbach. Foto: Empa


Elf Nationen mit verschiedenen Universitäten und Forschungs­instituten sind am internationalen Forschungs­programm im Mont Terri Felslabor beteiligt, darunter die Empa. Das unterirdische Felslabor befindet sich in einer Opalinuston-Schicht in 300 Meter Tiefe im Mont Terri bei St. Ursanne (JU). Das Labor wird vom Bundesamt für Landes­topografie (swisstopo) betrieben, die Projektpartner finanzieren die Forschungsprogramme. Seit 1996 werden hier Gesteins­formationen untersucht, die bei der Lagerung radioaktiver Abfälle eine Rolle spielen könnten.

Foto: swisstopo
Text: Andrea Six (Empa) / Fotos: zvg

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