Die unsichtbare Baustelle
Am 10. März 2022 fand das Forum Strasse in Olten statt. Mit grosser Freude konnte der Organisator der schweizweit beliebten Strassenbau-Fachtagung Dr. Christian Angst an die 200 Teilnehmer im Stadttheater sowie weitere 100 «Livestreamer» begrüssen.
Ja bestimmt, der Titel «die unsichtbare Baustelle» sei provozierend und unsichtbare Baustellen nicht möglich, erklärte Christian Angst. Und doch sei dies genau das, was sich Verkehrsteilnehmer wünschen: perfekt instand gestellte Infrastrukturen ohne jegliches Hindernis; weder Staus, Baustellen noch Unfälle. Staus sind Ärgernisse, die uns alle betreffen, daher will das Astra (Bundesamt für Strassen) diese bis 2030 um 25 Prozent gegenüber 2015 reduzieren, wie Astra-Direktor Jürg Röthlisberger erläuterte. Dies ist ein ambitioniertes Ziel, lagen doch die Staustunden sogar im Lockdown-Jahr 2020 über dem Wert von 2015! Da 84 Prozent des Personenverkehrs (inklusive öffentlichem Verkehr) auf Strassen stattfindet, sind Staus ein volkswirtschaftlich relevantes Thema.
Die Staukosten werden zu 225 Franken pro Einwohner und Jahr geschätzt; insgesamt 1,8 Milliarden pro Jahr, wie M. Tille vorrechnete. Diese jährlich insgesamt 30’000 Staustunden auf allen Schweizer Strassen sind zu 70 Prozent auf Verkehrsüberlastungen zurückzuführen. Es ist daher naheliegend, dass verschiedene Massnahmen parallel umgesetzt werden müssen: bessere Nutzung der bestehenden Verkehrsflächen (Verkehrslenkung, soll gar das Nachtfahrverbot für Lw fallen?), zusätzliche Flächen (Strategisches Entwicklungsprogramm STEP), raschere Baustellen und weniger Baustellen durch bessere Baustoffe.
Der bekannte Radiomoderator Bernie Schär leitete gekonnt eine rege Diskussion zwischen Astra-Direktor Röthlisberger und Transporteur Daniel Schöni. Unter anderem kam klar zum Ausdruck, dass der Individualverkehr nicht nur rational ist, sondern auch emotional. Dies sei der Grund dafür, dass man mehr über 40’000 Lw als über 5 Millionen Pw spreche, meinte Schöni pointiert.
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Lösungen sind bereit
J. Merian (Astra Zofingen) stellte die Astra-Bridge vor; eine mobile Konstruktion, mit welcher der Verkehr über der Baustelle geführt wird; darunter können die Bauarbeiten in einem geschützten Raum mit 100 Meter Länge, 5 Meter Breite und 3 Meter Höhe ungestört erfolgen. Die Ver- und Entsorgung der Baustelle erfolgt über eine Logistikspur neben der Astra-Bridge. Das weltweit einzigartige, 240 Meter-lange Ungetüm (inkl. Rampen) wurde erstmals im Frühjahr 2022 auf der Baustelle A1 Luterbach–Recherswil eingesetzt.
Auf Flughäfen wird schneller Beton verwendet, um Pisten über Nacht instand zu stellen. Warum nicht auch im Strassenbau einsetzen? Bereits nach 2 Stunden könne der durch ein Gemisch aus verschiedenen Zementen und Klinkersorten hergestellte Schnellbeton beansprucht werden. Frau F. Constandopoulos (Concretum) erläuterte das Vorgehen sowie Vor- und Nachteile. Da Zeit auch Geld sei, können die siebenmal höheren Kosten den «Schnellbetons» fallweise rechtfertigen; insbesondere wenn auch die Staukosten in Betracht gezogen werden.
Möglichkeiten, die Baumaterialien durch gezielte Entwicklungen und Innovationen dauerhafter zu machen (Dr. K. Mollenauer; TU Kassel) oder schneller einzubauen (C. Künning; Strabag Hannover und M. Schünemann, Kemna Bau, Pinneberg) wurden besprochen. Mollenauer zeigte die labortechnischen Möglichkeiten auf, die Gebrauchseigenschaften des Asphalts gezielt zu untersuchen. Besonderen Wert legte er auf Steifigkeit, Ermüdungs-, Verformungs- sowie Kälteverhalten.
Eindrücklich war die Vorstellung einer Turbobaustelle, bei welcher innert 96 Stunden eine 4 Kilometer lange, 15 breite Strecke instand gestellt wurde. Dabei wurden Binder- und Deckschicht 12 Zentimeter tief gefräst und durch einen neuen Aufbau bestehen aus Binderschicht, SAMI und Deckschicht ersetzt. Auch die Markierungen sowie Bohrkernentnahme zur Qualitätskontrolle erfolgten in dieser kurzen Zeitspanne. Eindrücklich ist auch der maschinelle Aufwand: 3 Asphalt-Werke (und ein viertes als Reserve), 2 Fertiger und Beschicker (plus dritten Reservefertiger) mit 10 Walzen (plus 2 Walzen in Reserve) sowie an die 100 Sattelzüge wurden eingesetzt.
Die Möglichkeit, gleich zwei Asphaltschichten auf einmal einzubauen (Kompaktasphalt), wurden vorgestellt und besprochen. Diese Bauweise sei erst ab Flächen grösser 25’000 m² ökonomisch sinnvoll erläuterte M. Schünemann. Spezialfertiger mit zwei Einbaubohlen werden zunehmend durch InLine-Pave verdrängt, wobei zwei modifizierte Fertiger hintereinanderfahren.
Kompaktasphalt eignet sich nicht Apriori zur Beschleunigung von Baustellen, da bei sommerlichen Temperaturen die lange Dauer der Abkühlung der zwei heiss in heiss eingebauten Schichten die Zeitersparnis durch den schnelleren Einbau wieder wettmachen. Hingegen eigne sich Kompaktasphalt zur Verlängerung der Einbausaison, da dieser auch bei kühleren Bedingungen im Herbst noch verlegt werden kann.
Die Tagung zeigte deutlich auf, dass die Bauindustrie einige Pfeile im Köcher hat, um die Staus durch Baustellen zu reduzieren.