Neue Identität für ein altes Fabrikgebäude
Die ehemalige Anlage der Kleiderfabrik Frey bietet nach dem umsichtigen Umbau räumlich vielfältige Strukturen für zahlreiche Nutzungen, Atelier- und Wohnlandschaften unter Wahrung des ursprünglichen Industriecharakters.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Ortschaft Wangen bei Olten als typisches Bauerndorf, ehe die Stadtrandgemeinde ebenso mit der zunehmenden Industrialisierung umliegender Städte in Berührung kam. Ansässige Gewerbebetriebe weiteten sich stark aus, neue Industrien und Gewerbe siedelten sich mehr und mehr an – darunter ein industrieller Betrieb zur Fertigung von Herrenhosen, der sich rasant entwickelte und zu einem führenden Modefachgeschäft der Schweiz avancierte – besser bekannt unter dem Namen «Kleider Frey».
Gestaltungspotenzial erkennen
Doch seit Mitte der Neunzigerjahre standen die zusehends verlotterten Fabrikgebäude leer. Es brauchte die Initiative einer Stiftung, die das Sanierungs- und Umnutzungspotenzial der Anlage erkannte. Der schliesslich zustande gekommene Umbau generiert in den alten Gemäuern einen Nutzungsmix, der zwischen Wohnen und Arbeiten, Kultur und Freizeit wechselt. Damit erweckt der Eingriff Tugenden wie Unternehmergeist, Zukunftsglaube und Schaffenskraft, die in den ehemaligen Produktionsräumen geschlummert haben, wieder zum Leben. Nach über 20 Jahren der Zwischen nutzung und des Leerstandes erkannte die Stiftung Abendrot aus Basel das Umnutzungspotenzial der altehrwürdigen Anlage. Die Stiftung sicherte den Erhalt des Gebäudes und entwarf innerhalb der nächsten vier Jahre mögliche Nutzungsstrategien – mit dem Ziel, die Verquickung elementarer Lebenssituationen im einstigen Firmenkomplex zu vollziehen resp. Arbeiten und Wohnen unter einem Dach zu vereinigen. Dabei sollte der Charme der Frey-Fabrik bewahrt und mittels baulicher Eingriffe ins neue Jahrhundert überführt werden.
Schlossartiger Gebäudekomplex
Sowohl die Lage wie auch die Struktur der Architektur waren dafür ideal. Das ehemalige Fabrikanwesen bietet Tageslicht durchflutete, hohe, um einen grossen Innenhof angeordnete Räume ebenso für Gewerbebetreibende wie auch für Bewohner. In der Hauptsache besteht die Anlage aus einem 1912 erstellten Gebäudekomplex und einem zweistöckigen Hallenanbau – der ehemaligen Nähhalle – aus dem Jahr 1939 und erinnert in ihrem herben Cachet mitunter an ein etwas bescheideneres brandenburgisches Landschlösschen. Knapp 4000 m2 Nutzfläche hält die einstige Industrieanlage bereit, aufgeteilt in knapp 1100 m2 Wohn- und 2750 m2 Gewerbefläche. Eigentliches Prunkstück der Anlage ist dabei die ehemalige «Nähhalle», in welcher einst die Uniformennäherei beheimatet war und die mit knapp 1600 m2 für hiesige Verhältnisse schon fast epochale Ausmasse aufweist. Die präzise Auslotung der Eingriffstiefe war Grundvoraussetzung, um die Industriegeschichte der Kleider Frey zu berücksichtigen und prägende Merkmale der einst ersten Bauetappe herausschälen und sichtbar machen zu können – dies ganz im Sinne des zuständigen Architekturbüros Robert & Esslinger, das sich seit Jahren als eine der Kernkompetenzen für eine angemessene Verwertung historischer Substanzen einsetzt. Der bauliche Rahmen forderte die Charmeerhaltung der aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stammenden Fabrik und damit die maximal mögliche Erhaltung des Bestands genauso wie möglichst tiefe Umbaukosten. Ein Spagat, der einen gewissen pragmatischen Umgang mit der alten und neuen Bausubstanz und langjährige Erfahrung voraussetzt. Die vorerst stark gewichtete horizontale Schichtung der Gebäudestruktur kommt dabei beim realisierten Projekt nicht mehr zum Tragen. Die vertikale Schichtung erlaubt einen einfacheren Umgang mit den Brandschutz- und Schallschutz- Rahmenbedingungen und die Mitnahme der vorhandenen Bodenmaterialisierung – Massnahmen, welche zugleich die Baukosten senken. Durch diese vertikale Gliederung der Raumstruktur entstehen neue Raumerlebnisse mit den Maisonette- und Atelierwohnungen in den Seitenflügeln, im Obergeschoss durch die Raumbox, in welcher Küche, Sanitärräume und Vertikalerschliessung untergebracht sind.
Räumliche Verdichtung in Ateliers und Wohnlofts
Insgesamt sind drei über die gesamte Anlage verteilte Nutzungslayouts entstanden; lichtdurchflutete ein- oder zweigeschossige Einheiten, die ebenso als Wohnlandschaft oder Ateliers genutzt werden können. Eine räumliche Verdichtung von kreativem Wirken im Erdgeschoss und zugehörigem Loftwohnen im Obergeschoss, allesamt in adäquater Industrieatmosphäre: etwa in Beton gestrichene Böden, belassener erdfarbener Grundputz auf den Wänden und sichtbar geführte Leitungen. In der ehemaligen Nähhalle – mit den hohen Decken und raumhohen Fenstern – wurden verschiedene Ausbauvarianten geprüft. Die Stiftung Abendrot sucht derzeit für die Halle noch einen geeigneten Nutzer. Die darunterliegende Lagerhalle organisiert sich neu als Autoeinstellhalle. Inneres Zentrum der Anlage ist der Hofraum des Südgebäudes. Darum reihen sich die Loftwohnungen, welche aus einem Atelier im Erdgeschoss und einer zugehörigen Wohnung im Obergeschoss bestehen, was sie zu einer wirklichen Rarität macht. Der Innenhof funktioniert als Zugang zu den einzelnen Mieteinheiten und verbindet diese zugleich als eigentliche Begegnungszone. Eine sich gegenseitig anregende Nutzungsvielfalt aus Handwerkern, Künstlern und Kreativen anderer Kulturfelderdie sich dort insbesondere in der warmen Jahreszeit unter einem schattenspendenden Baum treffen und austauschen können. Dieser vielfältige Mix der neuen Nutzer verleiht dem ehemaligen Kleider-Frey-Areal eine neue Identität. Und mit der Wahrung und angemessenen Behandlung der altehrwürdigen Substanz atmet die transformierte Anlage zugleich die Zeit der industriellen Entwicklung weiter.