«Um die Luft kümmert sich kaum jemand»

Im Schweizerischen Verein Luft- und Wasserhygiene (SVLW) sind Unternehmen der Lüftungsbranche organisiert, welche sich dafür einsetzen, dass die gute Raumluft vermehrt zum Thema wird. Präsident Alfred Freitag erklärt, wie das gelingen soll.

Alfred Freitag, Präsident des Schweizerischen
Vereins Luft- und Wasserhygiene (SVLW)

«intelligent bauen»: Wenn man die Website des Schweizerischen Vereins Luft- und Wasserhygiene (SVLW) besucht, wird dort beschrieben, was der SVLW in erster Linie sein will: «Fürsprecher der Raumluft». Wer sind denn die Gegner?
Alfred Freitag: Wir sind nicht mit Gegnern konfrontiert, die sich gegen die gute Raumluft engagieren. Wir sind vielmehr mit dem Problem konfrontiert, dass die Raumluft kaum Beachtung findet. Luft ist eine Lebensnotwendigkeit. Trotzdem wird sie immer und überall als selbstverständliches und frei verfügbares Gut vorausgesetzt. Selbst in Gebäuden, die dichter und dichter gebaut werden, kümmert sich kaum jemand konsequent um die Frage, wie gute Luft in diese Gebäude hineinkommt.

Werden die Gebäude mittlerweile zu dicht gebaut?
Nein. Der treibende Faktor hinter den immer dichteren Gebäudehüllen ist es, unkontrollierte Energieverluste zu vermeiden. Die neuen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), die Anfang 2015 verabschiedet wurden und die jetzt in der Praxis umgesetzt werden, lassen hier schlicht keinen Spielraum mehr offen. Aus guten Grund: Denn ist die Gebäudehülle undicht, muss im Sommer mehr Kühlenergie und im Winter mehr Heizenergie aufgewendet werden, um die Raumtemperatur angenehm zu halten. Das ist im Zeitalter der Energiewende keine akzeptable Option mehr. Und auch nicht nötig. Denn es gibt gute technische Lösungen, um gute Luft in Räumen sicherzustellen.

Die Komfortlüftung.
Beispielsweise. Als SVLW setzen wir uns aber nicht für eine spezifische Lösung ein, sondern dafür, dass bei Neubauten und Sanierungen ein Lüftungskonzept erstellt und umgesetzt wird. Das ist das A und O. In der Frage, wie dieses Konzept ausgestaltet ist, sind wir neutral.

Wer ist im Planungs- und Bauprozess der wichtigste Player, um den Stellenwert der Raumluft zu erhöhen?
Ganz klar der Bauherr. Es liegt in seiner Bestellerkompetenz zu erfragen, wie und was zu verlangen ist, dass der Luftaustausch im energiedichten Gebäude gewährleistet wird, das er in Auftrag gibt. Aufgabe der Architekten und Planer ist es schliesslich, dem Bauherrn sich bietende Möglichkeiten aufzuzeigen und schliesslich ein Konzept zu erstellen.

Die Architekten und Planer sind als Fachleute nahe am Bauherrn dran. Weshalb betonen sie heute Ihrer Meinung nach die Wichtigkeit der Raumluft zu wenig?
Wenn die Bauherrschaft kein Lüftungskonzept verlangt, sehen Architekten und Planer oft keine Notwendigkeit, eines zu liefern. Hinzu kommt, dass die Kunst am Bau in den Augen vieler Architekten nach wie vor weit vor der Gebäudetechnik steht.

Es gibt Richtlinien und Merkblätter des SIA oder beispielsweise auch von suissetec zum Thema.
Das ist richtig. Die Frage ist aber, ob im Planungsprozess jemand da ist, der konsequent darauf besteht, dass ein Lüftungskonzept entwickelt und schliesslich auch umgesetzt wird. Angesichts der Wichtigkeit der Sache ist es erstaunlich, dass dies meist nicht der Fall ist. Atmen, essen und trinken sind bei Menschen und (Haus-)Tieren die lebensnotwendige Voraussetzung für einen natürlichen Stoffwechsel. Nur so werden all unsere Körperfunktionen aufrechterhalten. Niemand würde im Planungsprozess fragen, ob die Wohnung wirklich Toiletten braucht. Die sind selbstverständlich. Für die Luft leider nicht.

Wie reagieren Architekten und Planer, wenn Sie sie damit konfrontieren?
Während wir bei Fachplanern eher auf offene Ohren stossen, haben wir es bei den Architekten schwer. Wobei ich auch sagen muss, dass es Architekten gibt, die sehr interessiert sind an gebäudetechnischen Aspekten. Der entscheidende Ansprechpartner im Architekturbüro wäre für uns der Projektleiter, der die Entwürfe schliesslich umsetzt. Er vollzieht den Arbeitsschritt, bei dem oft durch kleine Optimierungen grosse Erschwernisse abgemildert werden könnten, mit denen die Gebäudetechniker später konfrontiert sind. Es gelingt uns bislang aber kaum, hier Kontakte zu knüpfen.

Die Anliegen von Gebäudetechnik und Lüftung sollen also früher im Planungsprozess berücksichtigt werden. Glauben Sie, dass die sich etablierende BIMPlanung hier Vorteile bringt?
Ja, das hoffe ich. Denn in der idealisierten BIM-Planung müsste es im Prinzip so laufen, dass bereits zu einem frühen Zeitpunkt sehr weitreichend definiert wird, welche Ergebnisse am Schluss resultieren sollen und welche Massnahmen dafür zu ergreifen sind. Zudem könnten gute und einfach verständliche 3D-Visualisierungen dabei helfen, einem Architekten, Planer oder vielleicht auch einem Bauherrn zu erklären, wie da und dort durch kleine Anpassungen Optimierungen erzielt werden können, die sich später auszahlen. Ich bin zuversichtlich, dass hier etwas in Bewegung kommt. Das grosse Übel der Gebäudetechnik wird dadurch aber nicht automatisch beseitigt.

Worin liegt dieses Übel?
Das grosse Hemmnis für die Gebäudetechnik ist es, dass bei Bewertungen von Immobilien gebäudetechnische Features wie beispielsweise PV-Anlagen, Wärmepumpen oder eben vielleicht auch Komfortlüftungen weitgehend unter den Tisch fallen. Bei der Bewertung, wie sie heute gängig ist, zählt zunächst einmal Lage, Lage, Lage. Dann folgen Substanz von Fassade, Dach und Fenster und schliesslich schon bald einmal die Geräte in Küche und Waschraum.

Wie ist das zu erklären?
Im Gebäudebereich liegt der Fokus nach wie vor stark auf den Investitionskosten, derweil Aspekte der Betriebsphase deutlich weniger Beachtung finden. Da die Vorteile und Vorzüge gebäudetechnischer Anlagen hauptsächlich in der Betriebsphase zum Tragen kommen, spielen sie bei Bewertungen keine grosse Rolle.

Wie geht denn der SVLW vor, um in der nötigen Breite die Sensibilisierung für die Raumluft zu erhöhen?
In einer ersten Phase unseres vergleichsweise jungen Vereins versuchten wir, das Anliegen in die Politik einzubringen. Und das direkt in Bundesbern. So organisierten wir mit Partnern beispielsweise einen Sessionsanlass, bei dem wir 14 Parlamentariern in der Lüftungsanlage des Bundeshauses die vorliegenden Herausforderungen erklärten. Dabei stiessen wir eigentlich auf gutes Verständnis. Trotzdem gelang es uns in der Folge nicht, politisch wirklich Bewegung auszulösen. Eine von Nationalrätin Ruth Humbel eingereichte Motion, die gesetzliche Grundlagen für raumlufttechnische Anlagen und Geräte forderte, wurde vom Bundesrat wohl begrüsst, jedoch wies er darauf hin, dass die Gebäude in der Hoheit der Kantone sind. Im Rat wurde die Motion schliesslich nicht weiter behandelt. Wir mussten einsehen, dass unser Thema in Bern zu wenig interessiert.

Was dann?
Wir suchten nach Möglichkeiten, um anderweitig dazu beizutragen, das Interesse an der Raumluft zu fördern. Dabei stiessen wir in Österreich auf «MeineRaumluft.at», einer unabhängigen Plattform für die gesunde Luft in Innenräumen. Sie informiert und sensibilisiert zum Thema Raumluft – und zwar mit Fokus auf die Nutzer. Das fanden wir grossartig. Und so beschlossen wir, eine solche Plattform auch für die Schweiz aufzubauen. Seit ich im April 2016 das Präsidium des SVLW übernahm, kümmert sich mein Vorgänger, Harry Tischhauser, nun um die Etablierung der Plattform «MeineRaumluft.ch».

Besucht man die Plattform, stösst man rasch auf Raumluft-Messkampagnen, die in Schulzimmern und Büros durchgeführt werden. Was hat es damit auf sich?
Die Raumluft-Messkampagne in Schulen läuft im Kanton Zürich seit Juni 2016. In Zusammenarbeit mit Lunge Zürich bieten wir Lehrerinnen und Lehrern die Möglichkeit, ein «MeineRaumluft»-Messpaket auszuleihen, mit dem sie die Raumluftqualität in ihrem Klassenzimmer erheben und dokumentieren können. Aufgrund der grossen Nachfrage und des grossen Interesses führten wir die Schulaktion weiter und weiteten sie auf die ganze Schweiz und zudem auf Büros aus. Mit den Aktionen an Schulen und in Büros haben wir die Chance, breite Bevölkerungsgruppen zu erreichen und auf das Thema der Raumluft aufmerksam zu machen.

Sind Sie zufrieden mit der Wirkung?
Die Plattform ist noch jung, die Messkampagnen laufen erst seit gut zwei Jahren. Trotzdem beginnen sie, Wirkung zu erzeugen. Das Interesse an den Messpaketen ist auf jeden Fall erfreulich. Um das Thema weiter zu befeuern, haben wir uns das ehrgeizige Projekt vorgenommen, 1000 Klassenzimmer mit Lüftungsanlagen auszurüsten. Um dies effizient zu ermöglichen, befähigen wir vier Hersteller von Lüftungsgeräten, die selbstverständlich Mitglieder des SVLW sind, diese Klassenzimmerprojekte quasi als GU abzuwickeln. Hat also eine Schul- oder Baubehörde Bedarf, kann sie sich im Rahmen dieser Aktion direkt bei einem dieser Hersteller melden. Dieser unterbreitet der Behörde schliesslich einen technischen Vorschlag, offeriert einen Preis, macht, wenn gewünscht, einen Finanzierungsvorschlag und kümmert sich schiesslich auch um die Umsetzung. Die ersten Schulzimmer konnten bereits aufgerüstet werden. Wir freuen uns auf viele weitere. Und wir freuen uns, wenn im Zuge dessen an Orten über die Raumluft gesprochen wird, an denen das bislang nie ein Thema war.

Das politische Lobbying aber haben Sie ganz aufgegeben?
Nein. Aber wir haben es ein Stück weit an die Konferenz der Gebäudetechnik-Verbände (KGTV) ausgelagert, in dessen Vorstand ich gemeinsam mit unserem SVLW-Geschäftsführer, Martin Bänninger, sehr aktiv bin. Präsident der KGTV ist Nationalrat Jürg Grossen, der auch die Parlamentarische Gruppe Gebäudetechnik co-präsidiert, die 2016 ins Leben gerufen wurde. Wir sind also gut vernetzt. Ich bin auch nach wie vor überzeugt davon, dass es eine gesetzliche Grundlage für raumlufttechnische Anlagen und Geräte braucht. Und ich bin überzeugt davon, dass es irgendwann eine solche geben wird. Beim SVLW bereiten wir jetzt den Boden dafür, dass ein solches künftiges Gesetz breit abgestützt ist und in der Bevölkerung getragen wird, wenn es so weit ist.

Auf der SVLW-Website gibt es ein Verzeichnis von zertifizierten Firmen der Lüftungsbranche. Wozu braucht es dieses Zertifikat?
Hinter dem Zertifikat stand die Erkenntnis, dass beispielsweise im Sanitär- und Elektrobereich konzessionierte Fachunternehmungen tätig sind, dass es im Lüftungsbereich aber nichts dergleichen gab. Angesichts des wichtigen Themas waren und sind wir aber der Überzeugung, dass auch in unserem Branchenzweig Firmen die Möglichkeit erhalten sollten, sich über eine Zertifizierung qualitativ abzuheben. Dies in erster Linie, um es Bauherrschaften und Planern zu erleichtern, kompetente Anbieter und Dienstleister zu finden.

Orten Sie denn da und dort Qualitätsprobleme?
Leider ja. Aufgrund eines massiven Kostendrucks sinkt die Qualität in der Ausführung sukzessive. Aber auch auf der Planungsebene führt der Preiszerfall zu negativen Effekten. Immer mehr und immer grössere Projekte müssen in immer kürzerer Zeit bewältigt werden. Gleichzeitig werden Kontrollmechanismen minimiert, weil auch dies ein Kostenfaktor ist. Eine so durchgeführte Planung führt in Kombination mit Ausführenden, die ihrerseits stark unter Druck stehen, immer wieder zu Fehlleistungen.

Im Verzeichnis sind nur wenige Firmen aufgeführt. Spielt das Zertifikat in der Praxis überhaupt eine Rolle?
Wenn man betrachtet, wie wichtig es heute in fast allen Wirtschaftsbereichen ist, zertifizierte Dienstleistungen und Produkte anbieten zu können, spielt das Zertifikat für uns eine sehr grosse Rolle. Allerdings stehen wir mit dessen Etablierung noch in der Anfangsphase – und treffen auf Fachunternehmungen, die wenig Bedarf sehen für das Zertifikat. Unsere Herausforderung und unser Ziel ist es deshalb, die Nachfrage im Markt nach zertifizierten Partnern im Lüftungsbereich zu fördern.

Wie könnte das gelingen?
Wir haben für den Zertifizierungsprozess vor rund zwei Jahren zur SGS Société Générale de Surveillance SA gewechselt. Die SGS hat von «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz» (SNBS) den Auftrag, das Label Nachhaltiges Bauen umzusetzen. Aspekte der Lüftung werden in Position 107 des Standards behandelt, wir vom SVLW waren massgeblich beteiligt an deren Ausarbeitung. Unsere Idealvorstellung wäre es nun, dass ein Bauherr, der mit seinem Projekt das SNBS-Label anstrebt, dabei Fachleute einsetzen muss, die in ihrem Bereich zertifiziert sind. Um auf dieses Ziel hinzuarbeiten, streben wir in einem nächsten Schritt an, dass sich nicht nur Firmen, sondern auch einzelne Fachpersonen qualifizieren und dann in regelmässigen Abständen requalifizieren lassen können. Vor dem Hintergrund sich in hohem Tempo verändernder Normierungen und Richtlinien wäre es ohnehin ein wichtiger Schritt, wenn unsere Fachleute in regelmässigen Abständen gewissermassen WKs besuchen müssten, um ihr Wissen à jour zu halten.

 

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