Abbruchobjekt wird zum Juwel

Niemand hätte von vom unscheinbaren Haus im Dorfzentrum einer St.Galler Landgemeinde gedacht, dass es eines der ältesten ländlichen Häuser der Ostschweiz ist.

Zweigeschossiges Wohnzimmer mit eingefügter Galerie. Links der Durchgang ins Esszimmer.

Öde Fassadenschieferzementplatten, unproportionale Hausform, kleine Raumhöhen, überalterte Sanitärräume und spanplattenverkleidete Räume: man kann es der Besitzerschaft nicht verübeln, dass sie beabsichtigte, das Haus durch einen Neubau zu ersetzen. Damals ahnte niemand, was sich hinter den vielen Wand- und Deckenverkleidungen aus den Modernisierungsbestrebungen der letzten Jahrzehnte verbarg. Der versierte Altbauarchitekt hatte allerdings bei seiner Untersuchung des Gebäudes eine Vorahnung. Das Dachgeschoss zeigte viel Originalsubstanz aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Da müssten auch – so seine Vermutung – im Erd- und Obergeschoss ältere Bauteile zu finden sein. Die Decke über dem Erdgeschoss war allerdings keine 100 Jahre alt, sodass die Idee entstand, diese zu entfernen, um einen hohen attraktiven Wohnraum mit vielen Fenstern schaffen zu können. Galerien würden es erlauben, zu den Fenstern und ins Dachgeschoss gelangen zu können. Mehrere Zwischenwände zeigten sich als Bauteile der 1960er-Jahre, die ohne Bedenken entfernt werden könnten. Dadurch würde ein sehr grosszügiger Wohnraum mit Essbereich und Küche entstehen, rundum besonnt von morgens bis abends.

Überraschungsreicher Rückbau
Ein etappiertes Sondieren und Freilegen förderte alte Holzbohlenständerwände und eine mit Strohlehm gemauerte Bruchsteinmauer zutage. Bald bat der Architekt die kantonale Denkmalpflege ins Haus, welche die ungewöhnlichen historischen Bauteile in das Spätmittelalter verortete und eine Holzaltersbestimmung mittels einer Dendrochronologie in Auftrag gab. Deren Datierung ergab ein Fälldatum des Konstruktionsholzes im Winter 1448/49. Welch eine Überraschung! Damit zählte das Haus zu den ältesten Häusern einer Landgemeinde in der Ostschweiz.

Kopfzerbrechen, Erwägungen, Unterschutzstellung
Damit war zwar Mut gemacht, das alte Haus zu erhalten, statt abzureissen, doch der statische Zustand der Westfassade bereitete dem Architekten, dem Holzstatiker und dem Zimmermann Kopfzerbrechen. Wild war hier in Jahrhunderten geflickt, verändert und in die Statik eingegriffen worden. Beinahe wäre das Projekt an dieser Schlüsselstelle gescheitert. Doch gab die Erfahrung von vielen Renovationen in alten Häusern und das Gespür für das Mögliche und Sinnhafte letztlich den Ausschlag für die Bauherrschaft, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Wichtige Stütze dabei war die Unterschutzstellung durch die Denkmalpflege und deren namhafte finanzielle Bezuschussung an die umfassende substanzgerechte Aussen- und Innenrenovation.

Schritt für Schritt
Nach dem Einreichen der Baueingabe galt es, mit Unterstützung verlässlicher und kenntnisreicher Handwerksbetriebe die baulichen Aufgabenstellungen zu besprechen und offerieren zu lassen. Bei jedem Bauteil wurde sorgfältig abgewogen, was wiederverwendet, was repariert, ersetzt oder weggelassen werden kann. Auf die Erhaltung des alten Holzwerks wurde besonders Wert gelegt. Dieses möglichst sichtbar zu lassen, dabei die Aussenbauteile genügend zu dämmen und konstruktiv solide auszubilden sowie darin die nötige Haustechnik diskret unterzubringen, verlangte viel Kreativität, Fachwissen, Feingefühl und Erfahrung. Bei vielen Bauteilen war ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen unumgänglich, was eine intensive planerische Begleitung des Bauprozesses und fortwährende Handwerkerbesprechungen vor Ort nötig machte.

Die neue Galerie zieht sich auch im Esszimmer weiter.

Umfassende Renovationsarbeiten
Nach dem erfolgten Rückbau, also der Entfernung substanzfremder Verkleidungen, wurde der nicht unterkellerte Teil nach einem Flächenaushub mit einer Betonbodenplatte versehen, die aufgrund der statischen Abstützungen des darüber liegenden historischen Holzbaus etappenweise ausgeführt werden musste. Darauf wurden die aussenliegenden Streifenfundamente nachgebessert und die technischen Leitungen verlegt. Nun konnte der Zimmermann Hand anlegen, die alten Bohlenwände stabilisieren, Teile reparieren, Ergänzungen mit herbeigeschafftem Altholz einfügen, neue statische Holzteile einziehen, die für die konzeptionellen Grundrissänderungen nötig wurden.

Treppe und Ragal: Clevere Details auf engem Raum.

Bewährte und substanzgerechte Materialien
Verarbeitet wurde weitgehend neues und altes Massivholz sowie kapillare Dämmstoffe (Zelluloseflocken, Holzfaserplatten, Seidenzöpfe etc.). Folien wurden zurückhaltend verwendet. Die Galerieböden wurden aus den alten Bodendielen des Erdgeschosses gehobelt, Verkleidungsbretter teilweise hier ausgebaut und dort wieder eingesetzt, Fensterrahmungen neu mit Lärchenholz gezimmert, alle Holzteile entweder geölt oder lasiert. Die filigranen Holzfenster mit Sprossen setzen besondere Akzente, ebenso der geschläufte Holzschindelschirm aus handgespaltenen Lärchenschindeln. Um das Dach wieder mit Biberschwanz-Ziegeln einzudecken, galt es, im Lager der Stiftung Denkmal in Schönenberg (TG) altersmässig und farblich passende Altziegel zu ordern. Auch für einige Türen, die im Haus nicht mehr vorhanden waren, fand man dort historischen Ersatz. Der funktionierende Kachelofen wurde erhalten, ebenso ein kleiner Gestellofen aus der Jahrhundertwende. Die Bruchsteinwand reparierte ein kundiger Maurer mit Strohlehmmörtel, der Grund- und Deckputz einiger Wandpartien wurde ebenso mit dem feuchtigkeitsregulierenden und raumgeruchsabsorbierenden Lehm bewerkstelligt. Eine Besonderheit stellte die in Lehm eingeputzte Wandheizung dar, die nun für sehr behagliche Wärme sorgt, welche über eine Erdsondenheizung zur Verfügung gestellt wird.

Verbindung von Alt und Neu ergibt spektakulären Wohnraum
Die Galerietreppe und Teile der Brüstung wurden – schlossermässig modern ausgeformt – aus geöltem Schwarzstahl gefertigt und stehen, wie die Metallküche, in spannungsreichem Kontrast zur historischen Bausubstanz. Der atmosphärischen Lichtgestaltung wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Verlegung des neuen vollmassiven und geölten Lärchenbodens im Erdgeschoss rundete die gehaltvolle und wohngesunde Atmosphäre des nun in der Tat spektakulären Wohnraums ab, welcher die historischen Bauteile auf wohltuende Weise in Szene setzt und mit neuen Elementen harmonisch verbindet.

www.igaltbau.ch

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