Glas in grossen Dimensionen

Die Entwicklung und die Möglichkeiten der Glasherstellung haben die Architektur ab dem Zeitpunkt massgeblich beeinflusst, als mit dem Floatglasverfahren die Glasproduktion erschwinglich und die Scheiben in grösseren Formaten herstellbar wurden.

Glas für Gebäudefassaden gibt es in den verschiedensten Grössen und Dimensionen.

In den letzten Jahren hat unter den Glasherstellern eine regelrechte Format-Olympiade begonnen – inzwischen sind Längen bis 18 Meter üblich, und die 20-Meter-Marke hat ein Hersteller für vergangenes Jahr geknackt. Scheiben in solchen XXL-Grössen finden sich nur in ausgewählten Projekten speziell an Gebäudefassaden. Lange Zeit galt der möglichst effiziente U-Wert einer Verglasung als das Mass der Kompetenz und der Technologie, wenn es um die Frage der Transparenz in der Architektur ging. Und tatsächlich ist es binnen 50 Jahren gelungen, von der Einscheibenverglasung über die erste Generation der Isolierverglasung bis hin zur heutigen 3-fach-Wärmeschutzverglasung den Ug-Wert von mehr als 5,0 W/(m2K) auf 0,7 W/(m2K) auf fast einen Zehntel zu reduzieren. Allerdings ist dieser Wettlauf um den effizientesten Wärmeschutz einer Isolierverglasung bauphysikalisch ziemlich am Ende der Fahnenstange angekommen. Weitere Verbesserungen durch 4-fach- oder Vakuumverglasungen sind technisch zwar möglich, aber vom Aufwand, den Kosten und anderen funktionalen Nachteilen her gesehen am Markt kaum durchsetzbar.

Die Verglasung hat an Bedeutung gewonnen
Der Wärmeschutz einer Verglasung ist jedoch nur ein Aspekt von vielen, die in der Architektur eine Rolle spielen. Man denke nur an den Brand- und Schallschutz oder die Verschattung, die inzwischen durch elektrochrome (schaltbare) Gläser auch von der Verglasung selbst gelöst wird – ganz ohne mechanische Komponenten wie Raffstoren oder Rollläden. Die Formate der Scheiben sind aktuell ein viel diskutiertes Thema in der Glasbranche, welches die Bedeutung der Verglasung für die Architektur weg von rein bauphysikalischen Aspekten in den Fokus der Gestaltung und der Ästhetik rückt. Man kann auch sagen: die Verglasung hat wieder an Bedeutung gewonnen. Tatkräftig unterstützt, aber auch herausgefordert von den Planern, haben sich die Glashersteller auf den Wettlauf eingelassen, wer es wohl schafft, noch grössere Glasscheiben zu produzieren, zu bearbeiten und zu veredeln. Die Firma Sedak ist neben Thiele Glas, AGC Interpane, Saint-Gobain und anderen einer der Glashersteller, die bei der Entwicklung sogenannter XXL-Gläser den Ton angeben. Und weil solche Formate ja auch irgendwie von A nach B transportiert werden müssen, wurde dafür ein Spezialinnenlader entwickelt, der 16 Meter lange Scheiben auf die Strasse bringt.

Ein 18 Meter langes Glaselement auf dem Weg in den Autoklav beim Glashersteller Sedak.

Statik und Logistik – die Herausforderung bei XXL-Gläsern
Tatsächlich ist die Herstellung der sogenannten XXL-Gläser das eine – die Veredelung und die Logistik hingegen sind das andere. Denn schliesslich durchläuft eine übergrosse Scheibe vom Floatglasbett bis zum Einbau an der Baustelle ebenso viele Produktionsschritte und Veredelungsvorgänge wie eine übliche Scheibengrösse. Die Bemessung übergrosser Gläser unterscheidet sich lediglich in den Dimensionierungen der Glasstärken (6 bis 20 Millimeter), das Verfahren an sich ist aber üblich wie bei gewöhnlichen Scheibengrössen. Schwieriger wird es bei statischen Fragen hinsichtlich der geeigneten Konstruktion am Einbauort. Denn Befestigungsmittel, tragende Profile und Untergründe müssen in der Lage sein, das enorme Eigengewicht der Scheiben (je nach Grösse zwei bis drei Tonnen) aufzunehmen und dazu die Wind- und eventuell Schneelasten mit abzutragen. Und gelöst sein will auch die Frage: Wie bekommt man so grosse Scheiben an der Baustelle vom LKW zum Einbauort?

Eine Frage der Logistik: Der Transport von XXL-Fassadenelementen aus Glas
ist eine echte Herausforderung.

Stabiler Randverbund und schaltbare Gläser
Neben der Veredelung, Logistik und Montage stehen bei XXL-Verglasungen auch die Aspekte Randverbund und Sonnenschutz im Fokus. Da zumindest eine Kantenlänge auf 3,2 Millimeter begrenzt ist, steigt die Eigenlast bei grösser werdender Scheibe überproportionional auf die herstellungsbedingt längenbegrenzte Schmalseite. Die Klebung des Randverbunds muss – je nach Befestigungsart der Verglasung an der Fassade – deutlich mehr leisten, um Statik und Dichtheit zu genügen. Im Gegensatz zur statischen Bedeutung nimmt die energetische Relevanz des Randverbundes bei zunehmender Scheibengrösse immer mehr ab, weil dessen Wärmebrückeneinfluss im Flächenverhältnis geringer wird. Umso wichtiger wird hingegen ein verlässlicher und effizienter Sonnenschutz, der bei grossen Scheiben und noch dazu in grossen Höhen in konventioneller Bauart kaum möglich ist. Hier kommt zudem die Frage der Ästhetik ins Spiel: Es ist kontraproduktiv, einerseits mit überformatigen Scheiben die Transparenz einer Architektur in Szene zu setzen, um sie dann hinter Sonnenschutzanlagen zu verstecken. Zwar lässt sich mit einer Low-E-Beschichtung der Hitzeeintrag spürbar reduzieren, jedoch bleibt der Blendeffekt bei strahlendem Sonnenschein ohne Verschattung ungelöst. Für XXL-Gläser sind schaltbare Verglasungen daher geradezu prädestiniert, um sowohl die Blendung, die Ästhetik als auch die Problematik der Windlast elegant zu lösen. Die geringen Kosten für den Energiebedarf (ca. 2,4 Watt pro Quadratmeter) fallen nicht ins Gewicht, wenn man bedenkt, was man an Investitionen für die Installation und Wartung von Jalousien einspart. Hinzu kommt die ständig erlebbare Transparenz im Innenraum, weil der Ausblick auch im gedimmten Zustand permanent gewährleistet ist.

Beeindruckende Referenzen offenbaren Kompetenzen
Für die Glashersteller sind die Referenzen beste Werbung, um zu zeigen, was für eine grossartige Architektur mit XXL-Scheibenmassen möglich ist und was für eine Kompetenz dahintersteckt, solche Projekte umzusetzen. Beispiel hierfür ist der Austausch der 45 Jahre alten und 13 Meter hohen Fassadenscheiben des Uno-Gebäudes «Konferenz der vereinten Nationen für Handel und Entwicklung» in Genf – ein Scheibenformat aus nicht vorgespanntem Glas, das für das Jahr 1971 sehr ungewöhnlich war und damals vermutlich die bislang grössten je eingebauten Scheiben hervorbrachte. Für Furore sorgten auch die 15 Meter hohen Fassadenscheiben für das neue Apple-Hauptquartier in Cupertino – solche Projekte wecken bei Architekten und imagebewussten Konzernen natürlich Begehrlichkeiten, weshalb man davon ausgehen kann, dass die 20-Meter- Marke von Sedak noch lange nicht den Schlusspunkt bei der Entwicklung und Herstellung von XXL-Gläsern setzt.

Die Eingangshalle des Gebäudekomplexes «111 South Main» in Salt Lake City beeindruckt durch fast elf Meter hohe
Fassadenscheiben.

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