Architektur: Bauen im Herzen des Spitals
Die drei Architekturbüros GWJ, IAAG (beide Bern) und ASTOC (Köln, Karlsruhe, Basel) haben das neue Hauptgebäude Anna-Seiler-Haus im Inselspital Bern – einem der renommiertesten Krankenhäuser der Schweiz – gemeinsam entwickelt und realisiert.
Der leicht verständliche Aufbau kann sich den konstanten Veränderungen im Spitalwesen anpassen und schafft trotz des komplexen Innenlebens eine gute Orientierung und Übersicht für Patientinnen und Patienten, Besuchende und Mitarbeitende. Basis bildet dabei der menschliche Massstab. Krankenhäuser sind höchst komplexe Gebäude. Denn sie müssen ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen, wie etwa den reibungslosen Ablauf vielfältiger Behandlungen garantieren, eine wohltuende und gesundheitsfördernde Umgebung für Patientinnen und Patienten sowie eine angenehme Arbeitsatmosphäre für die Mitarbeiter schaffen; und vor allem müssen sie sich den neuen Behandlungsmethoden anpassen und damit für die Zukunft flexibel bleiben.
Wie all dies vereint werden kann, zeigt das neue Hauptgebäude – das sogenannte Anna-Seiler-Haus – im Zentrum des Inselspitals in Bern, das als führendes Universitätsspital internationalen Ruf geniesst und in dem sich auch die Herz- und Gefäss-Chirurgie befindet. Die Büros GWJ, IAAG (beide Bern) und ASTOC (Köln, Karlsruhe, Basel) haben sich zu einer Planergemeinschaft zusammengeschlossen und den Neubau als Generalplaner geplant und realisiert.
Planergemeinschaft löst die komplexe Aufgabe gemeinsam
Das Gebäude ist so aufgebaut, dass im mehrgeschossigen Sockel vor allem die Untersuchungs- und Behandlungsräume und in den zwei miteinander verbundenen Türmen vorwiegend die Pflegezimmer sowie die Arztbüros untergebracht sind. Die Aufteilung des Gebäudes bringt zum einen viel natürliches Licht in die Räume, in denen sich Menschen lange aufhalten. Zum anderen ermöglicht die Trennung, schnell auf Veränderungen im Spitalwesen einzugehen; so tragen die höheren Räume im Sockel und die umlaufende rund 18 Meter tiefe Raumschicht insgesamt zu einer hohen Nutzungsflexibilität bei. Über Brücken – die so genannten Passerellen – werden die verschiedenen Funktionsbereiche im Sockel des Anna-Seiler-Hauses zudem an die weiteren Gebäude des Areals auf gleicher Ebene angeschlossen. Die bereits im Wettbewerbsprojekt entwickelte kompakte Struktur des Gebäudes erwies sich auch in der weiteren Planung als äußerst wirtschaftlich und effizient. Mit dem Layout der Grundrisse und der Platzierung eines Technikgeschosses zwischen Sockel und Turm konnten Reserveflächen geschaffen werden, die dann nachfolgend u.a. eine Bettenstation für Zusatzversicherte und weitere Behandlungsräume aufnehmen konnten.
Stadt in der Stadt
Das Areal des Spitals ist im Verlaufe der letzten Jahrhunderte zu einem Quartier auf rund 20 Hektar herangewachsen. Dazu gehören neben den Spitalbauten auch Gebäude für Forschung, Lehre und ergänzende Dienstleistungen. Im Zentrum der stadtgleichen Anlage liegt das Anna-Seiler-Haus, das mit seinen rund 82.000 m² Geschossfläche künftig nicht nur das sanierungsbedürftige Bettenhochhaus als Hauptgebäude ersetzt, sondern auch die Herz- und Gefäss-Chirurgie sowie verschiedene Fachkliniken aufnimmt. Es wird mit seinen 60 Meter Gebäudehöhe sowohl das Insel-Areal als auch die Stadtsilhouette von Bern lange Zeit prägen. Durch seinen gestaffelten Aufbau integriert sich der Baukörper in sein Umfeld mit den sehr unterschiedlichen Gebäudetypologien aus verschiedenen Jahrhunderten. Das fein differenzierte Fassadenbild fügt aus der Ferne die Bauteile zu einem homogenen Gesamtbild zusammen. Die Aussenräume der Türme sind besondere Aussichtsorte, teilweise zur öffentlichen Nutzung, etwa auf den Dachgärten. Von hier bietet sich ein einmaliger Ausblick über die Stadt und auf den Gurten, den Hausberg der Stadt Bern. Und die Terrassen sind frei zugänglich und stehen mit einem Dachcafé auch der Bevölkerung offen.
Eines der derzeit komplexesten BIM-Projekte in der Schweiz
Im Innern gleicht der quadratische Sockelbau einer Stadt mit Quartieren und Plätzen. Dreh- und Angelpunkt für Patientinnen und Patienten, Besuchende und Mitarbeitende bilden hierbei die zwei versetzten Hallen auf dem Eingangsniveau. Diese liegen im Herzen des Gebäudes; dank ihnen versteht man den Aufbau bereits, wenn man sich im Foyer bei der grossen Theke anmeldet. Von hier aus sieht man die beiden Personenliftgruppen und überblickt alle wichtigen Zugänge: im Süden den Hauptzugang an der Freiburgstrasse und im Norden den Zugang zur zukünftigen Magistrale, die alle Gebäude auf Strassenniveau verbindet. Von der Halle aus erreichen die Patientinnen und Patienten die Ambulatorien und Fachkliniken schnell und unkompliziert über mehrere Rolltreppen und über die Lifte das Bettenhaus. Durch die Oberlichter der zwei Atrien dringt viel natürliches Licht in die Tiefe der Grundrisse; so entsteht eine angenehme Atmosphäre und der Bedarf an Kunstlicht wird reduziert.
Auch in den Geschossen der Türme, wo sich vor allem die Pflegezimmer befinden, legten die Architekten besonderes Augenmerk auf die Erschließungs- und Wartezonen mit hoher Frequenz. Um die Einheiten übersichtlicher zu gestalten, werden von jedem Quartier zwei „Nachbarschaften“ erschlossen. Das erleichtert die Orientierung, und die Wege und Routinen des Alltags können intuitiv bewältigt werden. Die Flure innerhalb der Nachbarschaften – der Pflegestationen – führen immer in Richtung „Licht“ oder anders herum immer in Richtung des zentralen Quartiers auf der Etage. Hier finden die Patientinnen und Patienten, Besuchende und Mitarbeitende neben den Warte- und Ruhezonen auf jedem Geschoss einen grosszügigen Balkon. Diese Aussenfreiräume verorten das Anna-Seiler-Haus im Stadtgrundriss von Bern und bieten darüber hinaus einen spektakulären Ausblick auf die Landschaft und das Alpenpanorama.
Passivhaus-Zertifizierung nach Minergie-P eco
Mit dem Anna-Seiler-Haus wurde ein Projekt realisiert, das in mehrfacher Hinsicht in die Zukunft denkt, ob in Bezug auf medizinisch-technische Innovationen oder im Sinne, dass Menschen sich hier während ihres Aufenthalts wohl fühlen und schnell genesen können. Es ist jedoch auch das erste Spitalgebäude dieser Grösse und Komplexität, das nach der Passivhaus-Zertifizierung Minergie-P-Eco gebaut wird. Somit bekommt das Inselspital ein energetisch optimiertes neues Hauptgebäude, mit viel Licht und einem guten Klima.